Der Teufel hat Gewalt,
sich zu verkleiden
in lockende Gestalt.
Shakespeare (Hamlet)
Der Stoß kam so überraschend, dass er die Kaffeetasse nur mit Mühe in der Balance halten konnte. Die ganze Sorge galt seinem orangefarbenen Poloshirt, das er ungern fleckig trug. Vor ihm war jemand aufgesprungen und verdeckte ihm die Sicht auf die Straße.
Der Kaffee war wirklich heiß und Raphael, der das seit ein paar Tagen mit viel Wohlgefallen immer wieder aufs Neue registrierte, hatte eben noch den Duft aus der dampfenden Tasse eingesogen, bevor er sie vorsichtig zum Mund geführt hatte. Die Hand seiner Freundin, die das Unheil heraufbeschworen hatte, als sie ihn am Oberarm packte, krallte sich jetzt in sein Fleisch.
„Um Gotteswillen“, schluchzte Valentina mit schreckgeweiteten Augen.
Die Menschenmenge vor dem kleinen Straßencafé gestikulierte. Alle riefen durcheinander. Zwischendurch hohe spitze Schreie, dann wieder Stimmengewirr. Eingekeilt in die hin und herwogende Menge stand ein Auto. Die bejahrte Frau am Steuer blickte hilflos bald nach vorn, bald in den Rückspiegel. Machte sie Anstalten, den Wagen zurückzusetzen, hämmerten die Umstehenden hinten auf die Karosserie ein und gaben ihr so zu verstehen, dass das nun wirklich das Falscheste sei, was sie in diesem Augenblick machen könne. Eine ebensolche Reaktion rief sie hervor, wenn sie mit verängstigtem Blick, die Stirn fast an der Windschutzscheibe, andeutete, sie habe vor, vorwärts zu rollen. Einer griff beherzt durchs offene Seitenfenster und kurbelte wild entschlossen am Lenkrad, und wieder ertönte ein schriller Schrei.
Raphael schaffte es mit Sorgfalt, die Kaffeetasse wieder abzustellen. Der Griff an seinem Oberarm, der sich kurzzeitig gelockert hatte, wurde wieder fester, so als wollte die mitleidende Freundin die Schmerzen des Opfers fühlbar machen.
„Du musst etwas tun“.
In ihren Augen standen Tränen, als sie, ohne ihn anzusehen, ihre langen roten Fingernägel in seinen Arm bohrte.
Raphael war der Ansicht, dass eine ausreichende Anzahl von Menschen damit beschäftigt war, etwas zu tun.
Mit hochgezogenen Augenbrauen blieb er sitzen, warf einen spähenden Blick nach rechts zu Valentina, die verzweifelt das Geschehen verfolgte, und anschließend einen nach unten auf den Tisch, wo sein Kaffee kalt zu werden drohte. Da sich sein rechter Arm weiterhin in der Umklammerung weiblicher Anteilnahme befand, drehte er die Kaffeetasse am Henkel halbkreisförmig zur Seite, ohne dabei den rechten Oberarm in seine profanen Absichten einzuweihen. Dieser verharrte dementsprechend regungslos im festen Griff der anklagenden Hand und erwiderte das qualvolle Mitleid nur durch feines Muskelspiel. Ohne sich allzu auffällig herunter zu beugen, erreichte er mit der linken Hand jetzt die Tasse und konnte ungehindert einen Schluck nehmen. Der Kaffee war noch heiß, und er bereute nichts.
„Es ist furchtbar. Das arme Tier“, wandte sich Valentina an ihn, ließ seinen Arm los und griff nach der Handtasche, um ein Taschentuch hervorzukramen und sich die nassen Augen zu tupfen.
„Schrecklich“, murmelte Raphael und war sich sicher, dass die Tragödie in der Schlussphase war, denn die Menge begann sich zu zerstreuen, und die Augen seiner Freundin, die bisher unverwandt dem Geschehen gefolgt waren, irrten über den Frühstückstisch. Er reichte ihr den Zucker.